XX. Tagung des Arbeitskreises Empirische Polizeiforschung: Polizei und Minderheiten
Empirische Polizeiforschung XX: Polizei und Minderheiten. Mit einem Vortrag und Schriftenbeitrag von VICTIM.VETO.
Bei der XX. Tagung des Arbeitskreises Empirische Polizeiforschung im Juli 2016 an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/Oberlausitz in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze, diskutierten über 60 Interessierte anhand verschiedener Vorträge das Thema „Polizei und Minderheiten“. Auch wir haben hierzu einen aktiven Beitrag geleistet, siehe unten. Die Teilnehmer*innen haben die folgenden Themen gehört und diskutiert:
- Prof. i. R. Dr. phil. Hans-Joachim Asmus und Prof. Dr. phil. Thomas Enke (Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt Aschersleben): Polizeiliche Unsensibliltät oder Fremdenfeindlichkeit im Umgang mit migrantischen Opern?
- Heike Würstl M.A. (Polizei Thüringen): ‚Ein Angriff auf unsere westlichen Werte‘ – Rekonstruktion polizeipraktischer Deutungsarbeit.
- Dipl.-Verwaltungswirt (FH) Dirk Herzbach, M.A. (Polizei Baden-Württemberg, Polizeipräsidium Offenburg): Das „unbekannte Gesicht“ der Police Nationale – der Umgang mit Minderheiten in den Problemvierteln Frankreichs.
- Dr. phil. Dr. rer. med. Peter Ullrich (Technische Universität Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft): „Gute“ und „böse“ Demonstrierende? Die Wahrnehmung von politischen Minderheiten im Protest Policing.
- Univ.-Prof.’in Dr. rer. pol. Yvette Völschow, Mascha Körner (Universität Vechta, Arbeitsbereich Soziale Arbeit) und Matthias Radtke (Polizeidirektion Hannover): Vorbehalte zwischen ausländischen Opfern von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung und der Polizei.
- Dr. phil. Daniela Hunold (Deutsche Hochschule der Polizei Münster, Department Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention): Raumwissen und räumliche Praxis bei der Polizei im Kontext ethnisch und sozial divers geprägter Stadträume.
- Dipl.-Soz. Christiane Howe (Humbold Universität Berlin, Institut für Europäische Ethnologie): Flanierende Polizeiarbeit im Quartier.
- Dr. phil. Lilia Monika Hirsch (VICTIM.VETO Stiftung): Störfaktor Kommunikation: Aspekte des milieuspezifischen (Un-)Verständnisses als Potenziale und Grenzen der Polizei.
- Dr. phil. Lena Lehmann (Helmut Schmidt Universität – Universität der Bundeswehr, Hamburg): Wen fokussiert das dritte Auge? Der Einsatz von Bodycams bei der Polizei.
- Dr. jur. Andreas Ruch (Universität Bochum, Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft): „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Soziale Selektivität polizeilicher Ermittlungen und notwendige Konsequenzen für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren.
- Jana Möbius (Polizei Hessen): Weibliche Homosexualität in der Polizeiorganisation.
Zum Inhalt unseres V.V-Beitrags: „Störfaktor Kommunikation: Aspekte des milieuspezifischen (Un-)Verständnisses als Potenziale und Grenzen der Polizei.“, der inzwischen im 21. Band der Schriften zur Empirischen Polizeiforschung des Frankfurter Verlags für Polizeiwissenschaft von Karlheinz Liebl herausgegeben wurde:
Wie viel und wie wenig „Begegnungsepisoden“ zwischen Polizei und Bürger – letzterer in polizeilichen Zusammenhängen oft als „polizeiliches Gegenüber“ bezeichnet, was nota bene bereits semantisch eine konfrontative Komponente beinhaltet – mit gesprochener Sprache zu tun hat, wird spätestens dann einsichtig, wenn wir uns eine nicht nur in der Philosophischen Fakultät bekannte Aussage zu Gemüte führen, dass wir alle und immer, unabhängig davon ob wir es beabsichtigen oder unterlassen „nicht nicht kommunizieren können“ (Watzlawick / Beavin / Jackson, 2007). Übersetzen wir diese Aussage auf das menschliche Handeln, und hier gleichzeitig auch auf diese „Begegnungsepisoden“, so kommen wir nicht umhin festzustellen, dass die vom als „Sender“ zu bezeichnenden Polizeibediensteten beabsichtigte Wirkung auf den „Empfänger“, also den Bürger, hier und da nicht ohne Konfusion auskommen wird; und vice versa. Kurzum, eine etwaige Mitteilung kann für Sender und Empfänger sehr unterschiedlichen Sinn und Bedeutung haben; denken wir alleine auf die Problematik der Übersetzung bzw. des Dolmetschens. Die Grade der Konfusion können von ein wenig Verwirrung über Angst und Ablehnung bis hin zum tödlichen Ausgang (wie z.B. die zum Teil tödlich verlaufenden Begegnungen der Polizei mit psychisch kranken oder auffälligen Personen) reichen und die subjektive Entscheidung für oder gegen eine (auszuführende) Handlung begründen. Und warum wächst der Grad der Konfusion, je weiter das Milieu des handelnden Polizisten von dem Milieu des handelnden Bürgers – explizit eines Angehörigen von Minderheiten – entfernt ist?
Wir näherten uns dem u.a. auf der Grundlage des – uns freundlicherweise vom SINUS Institut in Heidelberg für den Vortrag und die Schrift zur Verfügung gestellten – sozialen Models der Lebensweltforschung, bei dem Bereiche untersucht werden, mit denen Menschen alltäglich zu tun haben, und zwar aus deren subjektiver Sicht. Diese Informationen verdichtet Sinus zu Bausteinen der SINUS-Milieus®.
Das Wissen über die spezifische Segmentierung (Milieusegmentierung) ist bedeutsam, wenn diese Begegnungsepisoden mit möglichst wenig Konfusion gelingen sollen. Es kann zudem nicht nur auf die Wahl der jeweiligen Kommunikationsinstrumente einen großen Einfluss haben, sondern auch auf die Gestaltung der Bildungsangebote für die Polizei, sei es in der polizeilichen Ausbildung oder aber auch bei der Weiterbildung der behördlichen Führungsebenen, um zumindest das „Wissen“ der Polizei über Minderheiten (auch die eigene) zu erweitern. Wir empfehlen hier also „Hausaufgaben“ und diese können vermutlich nicht ohne langfristigen Einsatz von milieufernen wie auch internen Moderatoren in der Rolle der „Change agents“ bewältigt werden.
Zitiervorschlag für Literaturangaben
HIRSCH, L. M. (2017): Störfaktor Kommunikation: Aspekte des milieuspezifischen (Un)Verständnisses als Potenziale und Grenzen der Polizei. In: Liebl, K. (Hrsg.): Empirische Polizeiforschung XX: Polizei und Minderheiten. Schriften zur empirischen Polizeiforschung. Bd. 21. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt. S. 151-173.
ISSN 1614-5275 / ISBN 978-3-86676-487-3