EXTERNE ERMITTLUNGSSTELLEN
Da jährlich Tausende von Fällen von unverhältnissmäßiger Polizeigewalt in Deutschland in Strafanzeigen münden und es letztlich nur zu wenigen einzelnen Verurteilungen kommt, gehen wir von einer systematischen Problematik aus.
Daher setzen wir uns ein für die Schaffung von externen Ermittlungsstellen in den Bundesländern und auf der Bundesebene in Deutschland. Diese Stellen sollten – als eigenständige Einheiten – gesondert für Ermittlungen in Vorwurfsfällen schwerer unverhältnissmäßger Polizeigewalt und anderer schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei (z.B. Folterpraktiken) zuständig sein. Sie müssen außerhalb der Polizeiorganisation angesiedelt und mit umfangreichen strafprozessualen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet sein. Die Teams solcher externen Ermittlungsstellen sollten heterogen zusammengesetzt sein, also ebenfalls mit Mitarbeitern ohne polizeiliche Ausbildung und Bindung, wie z.B. Personen mit wissenschaftlichem Hintergrund, die durch ihre wissenschaftliche Methoden-Ausbildung ebenfalls zur Ermittlungsarbeit befähigt sind.
Darüber hinaus fordern wir: Polizeieinsätze, bei denen Betroffene schwerverletzt oder getötet werden, müssen grundsätzlich in einem ordentlichen, öffentlich transparenten Verfahren der o.g. externen Ermittlungsstellen und Gerichte untersucht werden.
Diese Forderungen gelten für uns europaweit, zumal es in einigen europäischen Ländern bereits gute Beispiele für solche unabhängige Untersuchungsmechanismen gibt. Wir verweisen vor allem auf das Policy Paper des Deutschen Institutes für Menschenrechte Unabhängige Polizei-Beschwerdestellen. Eckpunkte für ihre Ausgestaltung. (PDF-Datei) und ergänzend hierzu auf die von verschiedenen Nichtregierungs-Organisationen ausgearbeiteten Kriterien für eine unabhängige Kontrollinstanz zur Untersuchung von Polizeigewalt (PDF-Datei).
VIDEOÜBERWACHUNG UND -AUFZEICHNUNG
Die deutsche Polizei hat durch die – derzeit ihrer Aufsicht unterliegende – Videoüberwachung zunächst generell die Rolle der Kontrolleurin der Aufnahmen inne. Betroffene wie Zeugen nutzen jedoch inzwischen partiell die Möglichkeit, in YouTube, Faceboo & Co. Videos oder Fotos von Vorfällen zu veröffentlichen und gehen damit an die breite Öffentlichkeit. Hiermit wird an den tradierten Verfahrensweisen der Executive mindestens Kritik geübt, womit die „polizeiliche Definitionsmacht über die Wirklichkeit“ ins Wanken gerät bis hin zur gerichtlichen Verwertung der Aufnahmen.
Daher erwarten wir, dass sich das Vorkommen exzessiver Vorfälle von Polizeigewalt in „kameradschaftlichen Kollektiv“ mindestens aus Opportunitätsgründen verringern könnte, wenn sich Polizisten einer späteren Verwendung von Video-Aufzeichnungen vor Gericht bewußt sind. Die Datenaufzeichnung und -speicherung müsste zum Schutz der Bürger allerdings unter neutraler Aufsicht erfolgen und die Verfügungshoheit über die Aufzeichnungen dürfte nicht bei der Polizei liegen.
Zum Schutz der Bürger fordern wir – trotz datenrechtlicher Bedenken – die o.g. Videoüberwachung und -aufzeichnung von in Gewahrsam genommenen Personen (einschließlich der Polizeiautos). Aufgrund der uns bekannten Erfahrungen von Betroffenen bewerten wir das Recht des Bürgers auf körperliche Unversehrtheit in Polizeiautos, Polizeiwachen und Gewahrsamszellen höher als den Datenschutz. Ähnliches gilt für den Einsatz sog. Bodycams.
Mehr hierzu unter Videoüberwachung: „Schutz“ versus „Privatsphäre“ 2011. (PDF-Datei)
MODIFIZIERUNG DER POLIZEIAUSBILDUNG
Wir stehen nicht nur für eine verpflichtende und stets wiederkehrende Wissensaktualisierung zum Thema deeskalierende Kommunikationstechniken sowie Menschen- und Bürgerrechte für bereits ausgebildete Polizeibeamte, sondern auch für die Modifizierung der Zulassungsvoraussetzungen zur Polizeiausbildung.
Als solche Zulassungsvoraussetzungen könnten z.B. eine verkürzte Ausbildung oder ausgedehnte Praktika in sozial- bzw. menschenrechtlich ausgerichteten Organisationen und Institutionen gelten.
Solche Zulassungsvoraussetzungen werden längst in zahlreichen anderen Studienrichtungen praktiziert. Dabei begegneten die angehenden Polizisten diversen Menschengruppen aller sozialen Milieus, was zum besseren Verständnis für die realen Probleme und Lebenswelten der Bürger führen und einem späteren übertriebenen Autoritätsanspruch vorbeugen könnte.
VERÄNDERUNG DES LEGALITÄTSPRINZIPS
Wir fordern von den Landespolitiken in Deutschland die Ausarbeitung von Vorschlägen zur Veränderung des Legalitätsprinzips.
Die bisherige strenge Regelung in Deutschland, eine potenzielle Straftat der Polizisten von Kollegen (als Zeugen) sofort zur Anzeige bringen zu müssen, weil sie sich ansonsten durch Zögern mitschuldig machen, ist unserer Ansicht nach kontraproduktiv. Jeder Mensch, der sich in einer gewaltsamen Situation befindet, die er ggf. gar nicht erwartet hat, benötigt danach Zeit für ein vertrauliches Gespräch, sei es mit der Familie, mit Sozialarbeitern oder Psychologen, möglicherweise sogar mit Vorgesetzten. Das sollte auch für Polizisten gelten dürfen.
Das bestehende Legalitätsprinzip führt jedoch unausweichlich zu einer psychischen Überforderung der betroffenen Polizisten (Kollegen der polizeilichen Täter) und müsste daher aufgeweicht werden. Deshalb setzen wir uns ein für eine bundesweite gesetzliche Änderung, in der Polizisten nach dem Eintreten unverhältnismäßiger Polizeigewalt mindestens 48 Stunden Zeit eingeräumt wird, um den Vorfall anzuzeigen, ohne sich direkt strafbar zu machen, bzw. für Kronzeugenregelungen.
»Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist.«
Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.)